Donnerstag, 16. Mai 2013

Entgeltfortzahlung Krankheitsfall: Nachtarbeitszuschlag




Nachtarbeitszuschlag als Teil der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

Leitsatz

1. Sollen Nachtarbeitszuschläge von der Entgeltfortzahlung tarifvertraglich ausgenommen werden, bedarf es dafür einer tarifvertraglichen Regelung gemäß § 4 Abs. 4 EntgeltfortzahlungsG.

2. § 6 Abs. 5 ArbZG ist nur eine Auffangregelung für den Fall, dass eine tarifvertragliche Regelung nicht besteht. Eine zu § 6 Abs. 5 ArbZG gefundene Auslegung kann deshalb nicht ohne Weiteres auf eine tarifvertragliche Regelung der Nachtarbeit übertragen werden.

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 142,84 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07. Januar 2013 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 114,27 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04. April 2013 zu zahlen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Der Streitwert wird auf 257,11 Euro festgesetzt.
5. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Zuschlägen für Nachtarbeit im Rahmen der Entgeltfortzahlung.
2
Der Kläger ist seit dem Datum im Rahmen einer 38,5-Stunden-Woche zu einem Bruttostundenentgelt von 16,97 Euro bei der Beklagten im Schichtdienst tätig.
3
Auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien findet gemäß § 2 des Arbeitsvertrages der Manteltarifvertrag Nr. 3 (MTV Nr. 3) für die Arbeitnehmer der Berliner Flughafen-Gesellschaft mbH und der Flughafen Berlin-Schönefeld GmbH, zurzeit in der Fassung vom 01. September 2011, Anwendung. Dieser Tarifvertrag gilt für die Beschäftigten auf den Berliner Flughäfen Tegel und Schönefeld.
4
§ 12 Absatz 4a des Tarifvertrages lautet wie folgt:
5
㤠12 Arbeit an Sonn- und Feiertagen, Nachtarbeit
(…)
(4a) Als Nachtarbeit gilt die in der Zeit zwischen 20.00 Uhr und 6.00 Uhr auf Anordnung bzw. dienst-/schichtplanmäßig geleistete Arbeit, vorausgesetzt, dass mindestens eine halbe Arbeitsstunde in den genannten Zeitraum fällt. Für Nachtarbeit wird pro Stunde ein Zuschlag von 25% des jeweiligen Stundensatzes gezahlt.“
6
(Blatt 57 der Akte).
7
§ 19 des MTV Nr. 3 lautet auszugsweise:
8
„§ 19 Krankenbezüge
(…)
(2) Die Krankenbezüge werden bis zur Dauer von sechs Wochen gezahlt. Als Krankenbezüge wird die volle Vergütung gemäß § 4 Entgeltfortzahlungsgesetz in der Fassung vom 19.12.1998 weitergezahlt.“
9
(Blatt 62 der Akte).
10
Vom 01. bis 06. Mai und vom 17. bis 20. August 2012 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. An diesen Tagen hätte er Nachtarbeit leisten sollen.
11
Die Beklagte zahlte im Rahmen der Entgeltfortzahlung dem Kläger seine tarifliche Vergütung ohne den Zuschlag für Nachtarbeit. Mit E-mail vom 06. August 2012 wies der Kläger auf die nicht erfolgte Auszahlung der Zuschläge hin und bat um Prüfung und Zahlbarmachung.
12
Mit seiner am 21. September 2012 beim Arbeitsgericht Cottbus eingegangenen Klage begehrte er die Verurteilung der Beklagten zur Nachzahlung der Nachtarbeitszuschläge für Mai 2012 in unstreitiger Höhe.
13
Mit Klageerweiterung vom 13. März 2013 begehrte er die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der Nachtarbeitszuschläge für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit im August 2012 in unstreitiger Höhe.
14
Der Kläger ist der Ansicht, er habe einen Anspruch auf Auszahlung der Nachtarbeitszuschläge für die Zeiten seiner Erkrankung im Mai und August 2012. Es gelte das Entgeltausfallprinzip, so dass die Beklagte ihm das Entgelt zu zahlen hätte, welches er bei tatsächlicher Erbringung der Arbeitsleistung in diesem Zeitraum verdient hätte. Bereits im Jahre 2003 habe die Beklagte - bei gleichlautendem Tarifvertragstext - den Versuch unternommen, für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit keine Nachtarbeitszuschläge mehr auszuzahlen. Dies habe sie dann aber korrigiert.
15
Der Kläger beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 142,84 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07. Januar 2013 zu zahlen.
17
2. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 114,27 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04. April 2013 zu zahlen.
18
Die Beklagte beantragt,
19
die Klage abzuweisen.
20
Die Beklagte ist der Auffassung, ein Anspruch des Klägers auf Zahlung von Nachtarbeitszuschlägen für die Zeiten seiner Arbeitsunfähigkeit bestehe nicht. Die tarifvertragliche Regelung in § 12 4a des MTV Nr. 3 entspreche wortwörtlich der Regelung des § 6 Absatz 5 Arbeitszeitgesetz (ArbZG). Für § 6 Absatz 5 ArbZG sei es durch das Bundesarbeitsgericht anerkannt, dass Zuschläge nur für tatsächliche Arbeitsleistung zu zahlen seien. Da Tarifverträge wie Gesetze auszulegen seien, gelte dies auch für die wortgleiche Formulierung des § 12 Absatz 4a MTV Nr. 3 zur Regelung der Nachtarbeitszuschläge im bestehenden Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien. Auch die Tarifnorm sei so auszulegen, dass nur für tatsächlich geleistete Arbeit in der Nacht Nachtarbeitszuschläge zu zahlen seien. Da bereits § 12 Absatz 4a des MTV Nr. 3 den Ausschluss der Zuschlagszahlungen für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit enthalte, komme es auf die Regelung zur Entgeltfortzahlung im § 19 Absatz 2 des MTV Nr. 3 bzw. auf eine Tariföffnungsklausel gemäß § 4 Absatz 4 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgeltfortzahlungsG) nicht mehr an.
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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen gemäß § 313 Absatz 2 ZPO i.V. mit § 46 Absatz 2 Arbeitsgerichtsgesetz verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
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Die zulässige Klage ist begründet.
23
1. Der insbesondere unter Wahrung der Ausschlussfrist des § 40 MTV Nr. 3 geltend gemachte Anspruch auf Zahlung der Nachtarbeitszuschläge für den 01. bis 06. Mai 2012 ist gemäß § 4 des Arbeitsvertrages i.V. mit §§ 19 Absatz 2, 15, 12 Absatz 4a MTV Nr. 3 sowie dem anzuwendenden Vergütungstarifvertrag begründet.
24
Der Kläger hat Anspruch auf die volle Vergütung für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit vom 01. bis 06. Mai 2012 gemäß § 19 Absatz 2 Satz 2 MTV Nr. 3. Gemäß § 15 Absatz 1 MTV Nr. 3 besteht die Vergütung des Arbeitnehmers aus der Grundvergütung und etwaigen Zulagen und Zuschlägen. Hierzu zählen auch die Zuschläge für Nachtarbeit in unstreitiger Höhe von 142,84 Euro brutto für den Zeitraum 01. bis 06. Mai 2012.
25
a. Der Kläger war im Zeitraum 01. bis 06. Mai 2012 arbeitsunfähig erkrankt. Ohne seine Erkrankung hätte er in diesem Zeitraum Nachtarbeit geleistet. Gemäß § 4 Absatz 1 EntgeltfortzahlungsG ist dem Arbeitnehmer für die Dauer seiner Erkrankung Entgelt nach dem Entgeltausfallprinzip fortzuzahlen. Das Entgeltausfallprinzip erhält dem Arbeitnehmer grundsätzlich die volle Vergütung einschließlich etwaiger Zuschläge (BAG vom 14.01.2009, 5 AZR 89/08, 1. Orientierungssatz). Der Nachtzuschlag ist Teil des im Rahmen der Entgeltfortzahlung gemäß § 4 Absatz 1 EFZG fortzuzahlenden Arbeitsentgeltes (LAG Köln vom 12.03.2009, 7 Sa 1258/08, Rz. 48ff mit weiteren Nennungen).
26
Von der Möglichkeit, Nachtzuschläge aus der Berechnungsgrundlage für die Entgeltfortzahlung tarifvertraglich auszunehmen, § 4 Absatz 4 EntgeltfortzahlungsG, ist im MTV Nr. 3 kein Gebrauch gemacht worden.
27
b. Entgegen der Auffassung der Beklagten enthält § 12 Absatz 4a MTV Nr. 3 keine Herausnahme der Nachtarbeitszuschläge aus der Berechnungsgrundlage für die Entgeltfortzahlung. Die Kammer ist nicht der Ansicht, dass diese in Anlehnung an die gesetzliche Regelung des § 6 Absatz 5 ArbZG nur für tatsächlich geleistete Nachtarbeit zu zahlen seien. Ob eine solche Festlegung - Zahlung von Nachtarbeitszuschlägen gemäß § 6 Absatz 5 ArbZG nur für tatsächlich geleistete Nachtarbeit - Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes ist (vergleiche die Aussage des Bundesarbeitsgerichts in seiner Entscheidung vom 13. März 2002, 5 AZR 648/00 Rz. 25), kann nach Auffassung der Kammer dahinstehen. Es kann nämlich gerade nicht aus § 6 Absatz 5 ArbZG auf die tarifvertragliche Regelung der Nachtarbeit im MTV Nr. 3 geschlossen werden. Die Regelung des § 6 Absatz 5 ArbZG ist ersichtlich als Auffangregelung für den Fall konzipiert worden, dass tarifvertragliche Ausgleichsregelungen nicht bestehen („Soweit keine tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen bestehen, …“ § 6 Absatz 5 ArbZG). Damit ist § 6 Absatz 5 ArbZG gerade keine Musterregelung für eventuell gleichlautende tarifvertragliche Regelungen. Der Gesetzgeber sieht insoweit zunächst die Regelungshoheit bei den Tarifvertragsparteien. Nur wenn diese eine Regelung nicht finden, oder das Arbeitsverhältnis nicht unter einen Tarifvertrag fällt, kann auf § 6 Absatz 5 ArbZG zurückgegriffen werden. Eine eventuell für § 6 Absatz 5 ArbZG gefundene Auslegungsregel kann deshalb nicht pauschal auf eine dieser Gesetzesvorschrift vorgehende tarifvertragliche Regelungen angewandt werden.
28
c. Darüber hinaus ist die Kammer auch nicht der Auffassung, dass § 12 Absatz 4a MTV Nr. 3 der Regelung des § 6 Absatz 5 ArbZG derart wortgetreu nachempfunden ist, dass deshalb auf gleichlautende Inhalte zu schließen sei. Während § 6 Absatz 5 ArbZG lediglich die grundsätzliche Verpflichtung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer normiert, für Nachtarbeit entweder eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag zu gewähren, regelt die tarifvertragliche Vorschrift des § 12 Absatz 4a MTV Nr. 3 den Zeitraum und die Mindestvoraussetzungen für Nachtarbeit sowie den Zuschlag in Höhe von 25 Prozent des jeweiligen Stundensatzes. Die Regelungen sind damit weder inhaltsgleich noch vergleichbar. Dass in beiden Regelungen das Wort „geleistete“ verwandt wird, reicht nicht dafür aus, das ein für § 6 Absatz 5 ArbZG als subsidiäre Regelung gefundenes Auslegungsergebnis automatisch auf § 12 Absatz 4a MTV Nr. 3 zu übertragen wäre.
29
d. Nach Auffassung der Kammer ist vielmehr davon auszugehen, dass das Entstehen der Zuschläge einheitlich in § 12 MTV Nr. 3 für Sonn- / Feiertags- und Nachtarbeit geregelt werden sollte. Mit § 12 MTV Nr. 3 ist damit die vom Gesetzgeber gewollte, nach § 6 Absatz 5 ArbZG vorrangige tarifliche Ausgleichsregelung geschaffen worden. Ein Rückgriff auf § 6 Absatz 5 ArbZG ist daher nicht erforderlich. Regelt § 12 MTV Nr. 3 die Anspruchsvoraussetzungen für das Entstehen von Zuschlägen für Sonn- / Feiertags- sowie Nachtarbeit, so ist die Beklagte mangels tarifvertraglicher Regelung gemäß § 4 Absatz 4 EntgeltfortzahlungsG nicht befugt, im Falle der Arbeitsunfähigkeit ihrer Arbeitnehmer die Nachtarbeitszuschläge aus der Berechnungsgrundlage für die Entgeltfortzahlung bzw. aus der Entgeltfortzahlung selbst herauszunehmen. Es hätte hierzu einer ausdrücklichen Regelung gemäß § 4 Absatz 4 EntgeltfortzahlungsG im MTV Nr. 3 bedurft.
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e. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist auch die Bezugnahme in § 12 Absatz 4a MTV Nr. 3 auf die geleistete Arbeit nicht dahingehend zu verstehen, dass Zuschläge, sei es für Sonn- und Feiertagsarbeit, sei es für Nachtarbeit, nur für tatsächlich geleistete Arbeit und nicht in Zeiten der Krankheit zu zahlen sein sollen. Es liegt in der Natur der Sache, dass Zuschläge für lästige bzw. belastende Arbeit an deren grundsätzliche Erbringung gekoppelt sind. Es liegt aber auch in der Natur des Entgeltausfallprinzips, welches die Grundlage der gesetzlich verpflichtenden Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber gemäß § 4 Absatz 1 EntgeltfortzahlungsG ist, dass der Arbeitnehmer in Zeiten seiner Erkrankung so gestellt wird, als ob er gearbeitet hätte. Dann hätte er seine Arbeit zu ungünstigen Zeiten erbracht. Dementsprechend hätte er einen Anspruch auf Zuschläge. Diese sollen im Fall seiner Erkrankung nach dem Entgeltausfallprinzip erhalten bleiben.
31
2. Der in seiner rechnerischen Höhe von 114,27 € unstreitige Anspruch des Klägers auf Zahlung von Nachtarbeitszuschlägen für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit vom 17. bis 20. August 2012 ist aus den unter 1. dargelegten Gründen ebenfalls begründet.
32
3. Der Zinsanspruch der ausgeurteilten Beträge ergibt sich aus den §§ 286, 288 Absatz 1 BGB. Die Zahlungsansprüche waren von dem Tag nach der Rechtshängigkeit an zu verzinsen. Das war der 07. Januar bzw. 04. April 2013. Eine Geldschuld ist mit dem gesetzlichen Zinssatz in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für das Jahr zu verzinsen.
II.
33
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da sie unterlag. Die Streitwertentscheidung folgt aus § 61 Absatz 1 ArbGG und entspricht der Höhe der geltend gemachten Forderungen.
III.
34
Gemäß § 64 Absatz 3 Ziffer 2b ArbGG war die Berufung zuzulassen. Die Berufung ist zuzulassen, wenn die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft über die Auslegung eines Tarifvertrages, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichtes hinaus erstreckt. Der MTV Nr. 3 erstreckt sich über den Bezirk des Arbeitsgerichts Cottbus und den des Arbeitsgerichts Berlins, da er für die Flughäfen Tegel und Schönefeld Anwendung findet. Zu entscheiden war über die Auslegung des § 12 Absatz 4a des MTV Nr. 3. Es war zu entscheiden, ob gemäß § 12 Absatz 4a MTV Nr. 3 Nachtarbeitszuschläge von der Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung erfasst werden oder nicht.

weitere Informationen: www.bork-rechtsanwalt.de

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